Schicksal einer christlich-jüdischen Ehe
Adolf Thoma, Seligenstädter Bürger und Kohlenhändler, war mit Frau Irene, geb. Baer verheiratet.
1937 legte die NSDAP über Adolf Thoma ein Dossier an.
Unter Punkt 17 wurde gefragt:
Sind die Familienverhältnisse geordnet? "Ja, aber mit einer Jüdin verheiratet!"
Nach Ausbruch des Krieges wurde Adolf Thoma im September 1939 als Feldwebel zum Heeresdienst eingezogen.
Adolf Thoma wurde von seinem militärischen Vorgesetzten vor die Wahl gestellt, entweder sich von seiner Frau scheiden zu lassen und zum Offizier befördert zu werden oder die Wehrmacht zu verlassen. Thoma wählte die zweite Möglichkeit.
Frau Thoma nähte in Heimarbeit für die Wehrmacht Gamaschen und Tornister und blieb von der Deportation im September 1942 zunächst verschont.
Eine Woche vor Ostern 1943 wurde Frau Thoma nach Offenbach aufs Amtsgericht bestellt. Nichts Gutes ahnend begleitete Herr Thoma seine Frau zum Amtsgericht, wurde aber "zur Verhandlung" nicht zugelassen, sondern musste auf dem Flur warten.
Nach einiger Zeit kam aus dem Verhandlungsraum ein Gerichtsbeamter.
Thoma fragte, ob er jetzt hineingehen könne, um seine Frau zu sehen.
Der Beamte antwortete: "Ihre Frau ist verhaftet und bleibt hier!"
Auf weitere Fragen Thomas, die zu einem Wortgefecht führten, schrie der Beamte: "Sehen Sie zu, dass sie hier verschwinden, oder ich mache von meiner Schusswaffe Gebrauch", dabei zog er die Pistole.
Adolf Thoma kehrte ohne seine Frau aus Offenbach nach Hause zurück.
Mitte des Jahres 1943 erhielten die Angehörigen eine mit Bleistift geschriebene Postkarte, die Frau Thoma aus dem KZ Auschwitz schmuggeln konnte.
Sie schrieb, dass sie hoffe, bald wieder mit ihren Lieben vereint zu sein.
Die Buben sollen brav sein und in der Schule fleißig lernen.
Als letzten Satz unter ihrer Unterschrift setzte Frau Thoma folgende Worte: "Hat Ulrich noch geschrieben? Ernst Rudolf".
Zunächst konnten Vater und die Söhne sich diese Worte nicht erklären, bis sie die Anfangsbuchstaben zusammensetzten: HUNGER.
Diese Karte war das einzige Lebenszeichen, das die Familie nach Verhaftung und Deportation nach Auschwitz erhielt.
Am 11. Januar 1944 ließ die Gestapo Darmstadt durch den hiesigen Bürgermeister an Adolf Thoma mündlich mitteilen:
"Ihre Ehefrau ist am 26.12.1943 im Häftlingskrankenhaus des Konzentrationslagers Auschwitz verstorben.
Die Leiche wurde auf Staatskosten eingeäschert und die Urne von Amts wegen im Urnenhain des Krematoriums des Lagers eingeäschert.
Unterschrift."
Erst nach dem Kriege erfuhr die Familie Thoma den Grund der Verhaftung von Irene Thoma:
Eines Tages erschienen im Bahnhof Seligenstadt vor dem damaligen Bahnhofsvorsteher M. zwei Beamte der Gestapo, die Herrn M. aufforderten zu behaupten, die Jüdin Thoma habe ihn beleidigt.
Herr M. erwiderte, "Das kann nicht möglich sein, ich kenne Frau Thoma nicht!"
Darauf schrien die Beamten M. an, es handle sich um die Frau des Kohlenhändlers Thoma, die als einzige Jüdin in Seligenstadt lebe.
Herr M. wurde gezwungen, ein Schriftstück zu unterschreiben, das die Anklage wegen Beleidigung enthielt.
Bei Weigerung werde M. seinen Posten als Bahnhofsvorsteher in Seligenstadt verlieren!
Die beiden Söhne von Irene Thoma durften weder die Schule weiter besuchen, noch eine Berufsausbildung erhalten.
Hans, der Ältere, musste das Gymnasium verlassen. Bäckermeister Paul Väth nahm den Jungen auf, offiziell als Hilfsarbeiter, insgeheim jedoch als Lehrling, was ihm nach dem Krieg selbstverständlich als Lehrzeit angerechnet wurde.
Erich, der jüngere Sohn, durfte das Gymnasium schon gar nicht besuchen.
Er lernte nach dem Kriege den Beruf des Feintäschners.